Consdorfer Scheunen



In der Consdorfer Kulturscheune

Michel Raus

Zu der Puth-Schlechter-Scholer-Lesung,
zur Bewing-Reckinger-Thurm-Vinche-Aus
stellung in zwei Consdorfer Scheunen (für
letzteres sind wir nicht zuständig, die
Abtlg. Malerei JPR befindet sich einige
Türen weiter auf demselben kulturellen
Stockwerk) waren erschienen Leute, Leute,
Leute, Liebhaber, Literaten, Leitartikler,
Linksintellektuelle, sogar der Dorftrottel
wagte sich kurz die Stufen zur Literatur
hinan dies nur um anzudeuten, daß
wirklich die „fine" und die „grasse crème"
einheimischer Kulturkundschaft sich aufge
rafft hatte ...
Die Consdorfer Kulturscheunen (Sachge
biete: Bildende Künste und Literatur) sind
wirklich ein unvergleichliches Ereignis im
luxemburgischen Geistesleben, und manches
kulturelle Quellgebiet, dem hier nachge
eifert wird, würde sich glücklich schätzen,
in einem ähnlichen Rahmen florieren zu
dürfen. Es kann nicht von uns erwartet
werden, daß wir Perle nach Perle den Ro
senkranz des Für und Wider die gelesenen
Texte abbeten. Es wurde schließlich von
journalistischer Seite erneut leitartikelscha
blonenhaft auf den vermeintlichen Klump
fuß der luxemburgischen Literatur hinge
wiesen: ihre geistige und sprachliche Hei
matlosigkeit. Was man jedoch in den mei
sten Fällen von den Manderscheidputh
schlechterscholer blindlings behaupten
kann, ist, daß sie im Deutschen zumindest
ebenso behaglich zu Hause sind als man
cher hochgelobte Originalgermane. Der
sichere Besitz der handwerklichen Sprache
zahlt sich vor allem dann aus, wenn der
Erzählstoff über jugendliche Bekenntnis
freudigkeit (Schlechter) noch nicht hinaus
gewachsen ist, in diesem und jenem Text
ist die handwerkliche Virtuosität bereits so
weit gediehen, daß man um den Stoff Angst
haben könnte. Dieser Stoff ist oft sogar
lediglich die Suche nach einem exotischen
Wohllaut, der dem postulierten politischen
Engagement allzu aesthetisch zu Gesicht
steht. Alle blauen Blumen schienen denn
auch schon gepflückt zu sein, als sich der
literarische „Revenant" Gaston Scholer zur
Lesung einer Satire hinters Mikrofon setzte.
Scholer war der Star des Abends, unbe
zweifelbar und sowohl in der Lesung als
auch in der nachfolgenden Diskussion, wo
er die gordischen Knoten intellektueller
Spekulation kurzerhand mit scharfen
Schwertstreichen zerhieb. Er war eigent-
lich das Bild des engagierten Literaten, und
es hätte des politisch-literarischen Textes
zu Vietnam von Puth nicht bedurft, um
das Wesen intellektuellen Engagements zu
illustrieren. Überhaupt Manifest ! ? Mani-
fest zu Vietnam ? ! Löblich und notwendig,
ja, aber schließlich weiß man gar nicht
mehr, was in wessen Dienste gespannt
wird: Literatur in den Dienst des Pro-
testes gegen den Vietnamkrieg oder der
Vietnamkrieg in den Dienst an der Lite-
ratur ?
Bleibt zum Vietnamprotest noch folgen-
des anzumerken: Es ziert, möglicherweise
auch nur, die Publizistik, Schablone zu
schreiben, Schwarzweißmalerei gehört nicht
in den Aufgabenbereich der Literatur. Des-
halb klingt es ganz einfach zu simplistisch,
hie den Vietkong seligzusprechen, dort den
Amerikanern immer wieder den Schwarzen
Péter unterzuschieben; man mag die Yan-
kees lieben oder nicht — und wir gehören
wahrhaftig nicht zu ihren Freunden und
Bewunderern, aber wurde ihnen neuerdings
nicht durch ein zweimaliges kennedisches
Blutopfer auf hoher und höchster Ebene
ein moralisches Alibi beschert ? Wie schwer
wiegt eigentlich dieses Opfer — wir über-
nehmen die Tonart von nicht unbedingt
amerikafreundlichen Leitartikeln —, wenn
Literaten — pour en avoir le coeur net —,
die doch auch auf Unterschiede und
Nuancen achten müssen, hemmungslos
schwarz gegen weiß vom Leder ziehen
dürfen. Das wäre eine Scholersche Satire
wert !

Aber so schlimm ist es letzten Endes in
Consdorf gar nicht zugegangen, am
Schluß dieses Nichtberichts stehe stellver-
tretend Dankbarkeit für den Beweis gei-
stiger Regsamkeit, der von unserer jungen
Literatur immer wieder erbracht wird.
Dem Brotarbeit-Kritiker aber, der ver-
ständlicherweise am Buchstaben klebt sei
es desweiteren gestattet, zu hoffen, die in
Consdorf von Puthschlechterscholer gele-
senen Texte bald gedruckt zu lesen !
Happyend....


d'Letzeburger Land : 14.06.1968

 

Von Esch nach Consdorf

Eine Kritik darf herausfordern ; sie soll
uns helfen, Stellung zu beziehen. Deshalb
bin ich J. Probst dankbar, daß er die Mühe
nicht gescheut hat, meine Kritik über die
Biennale in Esch zu kritisieren. Das ist eine
weitere Gelegenheit, öffentlich über das zu
reden, was man „Kunst" zu nennen pflegt.

Über den Wert einer Biennale gibt es
keine Zweifel. Eine solche Ausstellung ist
notwendig um uns die jungen Maler und
Bildhauer, welche den Kontakt mit der
Öffentlichkeit suchen, vorzustellen. Sie ist
auch nicht zu vergleichen mit den Ausstel-
lungen von Kitschprodukten, welche all-
jährlich im Herbst manche Galerien über-
wuchern, die man am liebsten ignoriert und
schon gar nicht kritisieren möchte (oder
sollte man es versuchen ?).

Die Biennale steht auf einer ganz anderen
Stufe. Sie zeigt ehrliche Werke, in denen
junge Leute versucht und gesucht haben,
etwas zu finden und mitzuteilen. Wenn das
Resultat nicht immer glücklich ist, so ist das
Bestreben, zu suchen und zu finden, eine
künstlerische Haltung. Das soll aber nie-
manden abhalten, die Werke selbst zu
beurteilen. Den Autoren kann das nur von
Nutzen sein. Ich glaube, ein Kritiker hat
auch nur das Recht, sich mit den Werken
und nicht mit der Person des Malers oder
Bildhauers auseinanderzusetzen. Das einzig
persönliche, das wichtig ist, nicht für den
Wert eines Werkes, aber für dessen Ver-
ständnis, ist das Alter und manchmal die
Herkunft des Autoren.

Man kann sagen, ein Maler hätte keine
Persönlichkeit. Wenn er 50 Jahre alt ist, so
ist es eine schwerwiegende Kritik. Wenn er
aber 18jährig ist, so ist es durchaus normal
und es kann ihn anspornen, weiter zu
suchen. Es ist nicht ehrlich und es ist
gefährlich, einen jungen „Künstler" zu
loben, ihm etwas vorzugaukeln, was noch
nicht in seinen Werken liegt. Das kann ihm
in den Kopf steigen, seinen Drang zum
Suchen abstumpfen und ihn in falsche
Bahnen lenken, aus denen er vielleicht nicht
mehr herauskommt. J. Probst kennt sicher
Beispiele dieser Art.
Dann tut man besser, die Werke objektiv
zu beurteilen. Ein junger Mensch, der es in
sich hat, findet seinen Weg. J. Probst
behauptet mit Recht, ein großer Teil der
jungen Leute würde für Kunst gar kein
Interesse zeigen. Leider ist die Interesse-
losigkeit der Erwachsenen noch viel größer,
besonders bei uns in Luxemburg. Das liegt
an der mangelhaften Bildung, am Fehlen
von jeglichen Anhaltspunkten zur Beurtei-
lung der Werke bildender Kunst. Deshalb
wird bei uns ein jeder, der nach Feierabend
zum Pinsel greift, mit „Künstler" angeredet
und, was schlimmer ist, er hält sich auch
für einen. J. Probst spricht von sich als
„artiste", ich weiß nicht, welche Bedeutung
er dem Worte zumißt....
„On commence par être un artisan, on
devient un artiste, si on le peut." (Matisse)
In Consdorf erfährt die Escher „Bien-
nale de la peinture et de la sculpture des
jeunes" eine Art Verlängerung oder Ergän-
zung : Thurm und Ziesaire, die zwei
Hauptpreisträger aus Esch ; Fischer, Nico
Kieffer, Jean Leyder, die ebenfalls in Esch
vertreten waren, Jeannot Bewing und Roger
Kieffer, von denen wir keine Werke in der
Biennale sehen konnten.
Für diejenigen, welche noch nie die
Consdorfer Scheune besichtigt haben, sei
gesagt, daß sie an der Hauptstraße, mitten
im Dorf, nahe bei der Kirche liegt: und nicht
zu übersehen ist. Ich möchte jedem raten,
der beim schönen Sommerwetter in dieser
Gegend einen Spaziergang unternimmt, die
Scheune zu besichtigen. Es lohnt sich.
Man kommt in einen Raum, wo die
Bilder und Skulpturen ganz anders wirken,
als in einem Museum oder Theater. Man ist
mitten drin ; die klapprigen Türen, die
alten Treppen und der ächzende Boden
machen den Kontakt mit den Werken viel
einfacher und menschlicher. Es ist eigen-
artig, daß die abstrakten Sachen in dieser
Umgebung natürlicher scheinen als in einem
Museum. Das ist der Beweis, daß „mo-
derne" Bilder nicht unbedingt in einem
modernen Haus hangen müssen.
Die Ausstellung wirkt im Ganzen des-
wegen gut, weil sie von einer Gruppe Leute
gemacht wurde, die alle in einem ähnlichen
Geist arbeiten. Es ist ihnen gelungen, dem
Raum einen Charakter zu geben.
Alle Ausstellenden spielen mit den bildne-
rischen Mitteln : mit der Linie, mit der
Fläche, mit der Farbe und mit den
Grundkörpern.
Sie suchen diese Elemente in eine Ord-
nung zu bringen, in ein System, wie sie
selbst sagen. Zwischen den Bildern hängen
nämlich erklärende Tafeln mit Skizzen,
Anweisungen, Konstruktionen (manchmal
auf Millimeterpapier), welche die Ehrlich-
keit ihrer Bemühungen beweisen. Wenn
man die Werke aus dem Ganzen heraus-
nimmt und sie einzeln betrachtet, so
verlieren sie viel an Wirkung. Fischer, die
beiden Kieffer, Thurm und Ziesaire suchen
gewissermaßen ein Rezept. Man nehme
Quadrate, oder gerade Linien, oder Halb-
kreise, und dann mache man so, und dann
so, und dann drehe man um, und siehe da,
was ich gefunden habe !

Die künstlerische Tätigkeit besteht haupt-
sächlich darin, das Rezept zu finden. Wenn
es ein gutes Rezept ist, bravo ! Aber ich
finde manche Rezepte (oder Systeme) zu
simpel. Im Ausland hat man Schulbücher
für Kunsterziehung in der Art wie „Das
Spiel mit den bildnerischen Mitteln". Darin
findet man viele solche Sachen. Sie sind

gedacht als Übungen, Etüden zum Ver-
ständnis der Formensprache. Sie sollen der
Ausgangspunkt sein zu einem späteren,
reicheren Entfalten.
Aber das kann ja noch alles kommen.
Jean Leyder steht ein wenig abseits von
diesem Bestreben. Er sucht hauptsächlich
große Farbfelder in gewählten Tönen in ein
schwebendes Gleichgewicht zu bringen.
Seine Bilder sind von sehr unterschiedlicher
Qualität.

Als Einzelwerke haben die Skulpturen
von Bewing mir am besten gefallen. Man
braucht keine sechs davon nebeneinander
zu sehen, um das klare Spiel mit den
einfachen, geometrischen Körpern aus Stahl,
Holz oder Draht zu erfassen.
Pire
(Die Öffnungszeiten der Ausstel-
lung : jeden Tag bis zum 17. August
von 15 bis 19 Uhr. Sonntags von 10
bis 12 und von 15 bis 19 Uhr.)

Pierre Zisaire

Die Ausstellung wirkt deswegen gut, weil sie von einer Gruppe Leute gemacht wurde, die alle in einem ähnlichen Geist arbeiten.

  "

d'Letzeburger Land : 09.07.1971

Roger Manderscheid

Es gab

um ihn ein Beziehungsgeflecht gleichgesinnter
Künstler und Literaten, zu denen u. a. Jeannot
Bewing, Nico Thurm, Roger Schiltz, Pierre Puth,
Gaston Scholer, Lambert Schlechter und Rolph
Ketter gehörten. Der mythische Ort, an dem eine
Happening-Kultur des Protests, der Provokation,
des Auf- und Ausbruchs aus den sklerosierten
Mustern der Nachkriegs- und Wiederaufbau-
restauration geradezu zelebriert wurde, war die
Consdorfer Scheune
.

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